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Matthias heiratet eine Familie

Matthias heiratet eine Familie

Dieser Artikel ist von Franziska Hidber und erschien am 05.09.2016 im Migros Magazin .

Matthias, ein zufriedener Single, der seine Freiheiten und Ungebundenheit geniesst, steht plötzlich mit Schmetterlingen vor einer Haustür, vor der neben ihm auch noch kleine Kinderschuhe stehen. Die Begrüssung: "Komm rein, meine drei Kinder schlafen schon.", lässt ihn erstmal leer schlucken.


[…]

Am Donnerstag, 2. August 2007, geht Matthias Güdel (36) in sein Lieblingslokal. Der Thuner ist Single, und alles stimmt in seinem Leben und macht ihm Freude: sein Loft, sein Masterstudium, sein Beruf (in dem er mächtig Gas gibt), seine Reisen in ferne Länder. Wenn er jetzt etwas ganz sicher nicht will, dann eine Beziehung. An diesem Abend sitzt er mit Freunden in geselliger Runde, als eine Frau in Begleitung eines Kollegen dazu stösst. Matthias Güdel beobachtet fasziniert, wie die Unbekannte spricht, wie sie lacht und gestikuliert. Ihr Temperament und ihre Ausstrahlung ziehen ihn von Minute zu Minute stärker in den Bann.

Sie heisst Aniko und hat sich vor knapp einem Jahr von ihrem Mann getrennt. Mehr erfährt Matthias Güdel zunächst nicht über sie. Es wird spät und später, die beiden tauschen Telefonnummern. Und der Mann, der sich nicht verlieben wollte, registriert erstaunt, dass der erste Schmetterling in seinem Bauch zum Flattern ansetzt. Wie auf Wolken schwebt er durchs nächtliche Städtchen nach Hause. Und als er in seinem Loft ankommt, ist aus dem einen Schmetterling ein ganzer Schwarm geworden.

Die Vernunft meldet sich im Flüsterton 

Zwei Tage lang dreht und wendet er das Kärtchen mit Anikos Telefonnummer in den Händen. Wird sie anrufen? Oder wartet sie darauf, dass er es tut? Am Abend gibt er sich einen Ruck. «Ja, komm doch vorbei», sagt sie spontan, «ich sitze mit einer Kollegin auf der Terrasse.» Als er kurz darauf ihr Haus betritt, stellt er fest: Da stehen kleine Schuhe in der Garderobe. Da hängen Kinderjacken. Da gibt es Spielzeug. Sie bemerkt seinen Blick und sagt: «Meine drei Kinder schlafen schon.» Drei Kinder! Er schluckt leer. Denkt, das ist eine andere Welt. Zwar hat er immer Kinder gewollt, aber doch nicht jetzt! Später vielleicht, nach dem Studium.
«Du willst dich doch sowieso nicht binden», flüstert die Vernunft ihm zu. Doch die Schmetterlinge übertönen sie mit ihren heftigen Flügelschlägen. Seine Freunde fragen ihn: «Hast du dir das gut überlegt? Eine Frau mit drei Kindern?» Und sie warnen: «Das wird schwierig und kompliziert!» Doch für Matthias Güdel gibt es nichts zu überlegen. Zu stark ist sein Gefühl, zu gross seine Gewissheit: Er will Aniko, und Aniko gibt es nur als Gesamtpaket mit Emilia, Ramon und Nicola, damals eins, sieben und zehn Jahre alt.

[…]

Güdel lässt Nicola, Ramon und Emilia Zeit, sich an die neue Situation zu gewöhnen, versucht, sich in sie hineinzuversetzen, indem er sich an seine eigene Kindheit erinnert, respektiert ihre Gefühle und die Eigenheiten des Familiensystems. Schon bald verfliegen die Unsicherheiten, und auch der vorerst skeptische Nicola kann offen auf den Freund seiner Mutter zugehen.
Dennoch dauert es zwei Jahre, bis der überzeugte Stadtmensch seine eigene Wohnung mit einem mulmigen Gefühl aufgibt und mit Aniko und den Kindern in ein Haus in der ländlichen Idylle, Thierachern bei Thun, zieht. Dort haben die Kinder ihren Lebensmittelpunkt, ihren Vater, ihre Schulen. Matthias Güdel taucht mutig ein in das Abenteuer Familienleben auf dem Land – ohne fixe Vorstellung, wie dieses aussehen soll, aber mit einer grossen Portion Optimismus und Offenheit.

Rasenmähen und Einkaufen statt Ausgang  

Güdels Leben dreht sich um 180 Grad. Statt nach Feierabend zu entspannen, fährt er nun die Jungs ins Eishockey- und Judotraining. Statt Freunde zu treffen, mäht er den Rasen, statt in den Ausgang geht es zum Einkaufen. Die erholsame Stille seines Lofts ist dem Lärmpegel dreier Geschwister gewichen. In seltenen, hektischen Momenten sehnt er sich zurück nach seiner Ruhe, seinem Freiraum. Aber er merkt auch, wie gut er in der Familie von seinem anspruchsvollen Job im Management abschalten kann.

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2013 heiraten Aniko Bärtschi und Matthias Güdel.

31. Mai 2016, später Nachmittag. Der Vorplatz des weissen Hauses in einer Wohnsiedlung ist bunt bemalt, ein paar Kreiden liegen auf dem Boden, ein Skateboard steht da. Neben der Haustür hängt ein Schild aus Ton: «Willkommen bei Familie Güdel-Bärtschi». Am langen Holztisch im offenen Wohnbereich sitzt Matthias Güdel, heute 45, und fährt sich mit den Fingern über das neckische Kinnbärtchen. «Durch die Heirat bin ich erst richtig angekommen», sagt er. «Ich hätte nicht geglaubt, dass dieses äussere Bekenntnis sich so positiv auf das innere Befinden auswirkt.»
Aniko Güdel-Bärtschi stellt den Wäschekorb auf den Tisch. Sie nickt: «Schon das Zusammenziehen hat Ruhe in unsere Beziehung und die Familie gebracht. Aber durch die Hochzeit wurde das noch verstärkt.»

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Nach der Arbeit in eine leere Loftwohnung zurückkehren – nein, das kann sich der Spitalleiter wirklich nicht mehr vorstellen. «Um Himmels willen!», ruft er. «Die Stille würde mich erdrücken.»

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